Es kommt nicht so oft vor, dass ich eine neue „das ändert vieles“-App für mich entdecke. OmniFocus war (in 2008!) sicherlich zu ein Moment, DEVONthink freilich auch, Keyboard Maestro natürlich, Obsidian letztes Jahr und zuletzt der Arc-Browser. Hier einreihen könnte sich durchaus der heutige Tipp Readwise und Readwise Reader (Link zur Homepage), denn dieses System macht einen großen Rundumschlag zum Thema Lesen.
Diese Lösung ist dabei so umfassend und vielseitig, dass sie sich nur schwer in einem Blog-Artikel fassen lässt. Ich werde daher den Schwerpunkt ein wenig auf den Reader legen, dem neueren Teil des Readwise-Systems. Offiziell ist dieser sogar noch in Beta, man kann aber trotzdem hervorragend damit arbeiten. Aktuell bekommt ihr Readwise und den Reader im Gesamtpaket für 7,99 US$ im Monat (bei jährlicher Zahlung). Nicht wenig, ich weiß und vielleicht hätte ich den Dienst nicht abonniert, wenn ich das nicht als Geschäftsausgabe über meine Firma abrechnen könnte. Wer jetzt einsteigt, behält diesen Preis laut Readwise lebenslang, denn nach der Beta-Phase könnte es noch teurer werden. Aber das System hat auch viel zu bieten, wie ich hoffentlich in diesem Artikel darlegen kann.
Readwise und Readwise Reader sind auf dem Mac eine Web-App (und somit natürlich auch unter Windows oder Linux nutzbar). Zusätzlich gibt es noch Browser-Plugins, dazu gleich mehr. Auf dem iPhone, dem iPad und unter Android bekommt ihr jeweils eine Readwise- und eine Reader-App. Sprache der Nutzeroberfläche ist derzeit nur Englisch. Die Grundidee ist nun, dass ihr alles, was mit Lesen zu tun hat, über das System macht. Dieses ist so ausgelegt, dass dort quasi alle Fäden zusammenlaufen, was nach meiner Erfahrung einen großen Komfortgewinn bringt.
Praxis
Aber was bedeutet dies nun in der Praxis? Nehmen wir an ihr findet im Web beim Surfen oder als Tipp in sozialen Medien einen interessanten Artikel. Dank der Browser-Plugins könnt ihr sofort anfangen, dort – ja direkt dort – Textstellen zu markieren, Notizen anzubringen und Schlagwörter zu vergeben.

Dadurch landet der Artikel gleichzeitig im Readwise-System. In diesem bekommt ihr automatisch eine besser lesbare Version des Texts ohne das ganze Webseiten-Drumherum. Dazu gibt es nützliche Infos an den (ausblendbaren) Seitenleisten wie Gliederung, Zusammenfassung, Lesedauer, Lesefortschritt usw. Auch hier könnt ihr natürlich Textstellen markieren, Notizen machen und Schlagwörter vergeben. Auch eine Gesamtnotiz zum Dokument ist möglich. Die Web-App ist so ausgelegt, dass sich alles prima per Tastatur bedienen lässt. Mit der Leertaste springt ihr z.B. von Absatz zu Absatz und O (für „open“) öffnet den Originalartikel. Tastenkombinationen sind übrigens einstellbar und auch an eine Command-Palette wurde gedacht. Die markierten Textstellen heißen in Readwise übrigens Highlights und ich werde diesen Begriff der Einfachheit halber im weiteren Verlauf dieses Artikels ebenfalls verwenden.
Auf iPhone und iPad könnt ihr die Readwise-Reader-App im Sharesheet haben und das System auf diese Weise mit Artikeln befüllen.

Als Ablagemöglichkeit gibt es standardmäßig drei Bereiche:
- In der Inbox landen eure Dokumente, die ihr z.B. mit dem Browser-Plugin nach Readwise verfrachtet. Nach dem GTD-Prinzip sollt ihr dort entscheiden, wie mit Dokument weiter verfahren wird.
- In der Later-Box parkt ihr alles, was ihr später lesen möchtet. Hier kommt dann – zumindest bei mir – die Smartphone-App zum Einsatz. Denn diese kann die Texte unterwegs – so ähnlich wie bei einem Podcast – vorlesen. Derzeit leider nur auf Englisch, was aber den Großteil meiner Texte ausmacht. So kann man seine Later-Box einfach durch Spazierengehen abarbeiten.
- Ins Archiv kommt schließlich alles, was ihr behalten möchtet, alles andere könnt ihr entsprechend löschen, wodurch es aus Readwise wieder verschwindet.
Readwise kann euch auch regelmäßig eine Auswahl eurer Highlights für eine Art Review vorlegen, unterstützt also auch diesbezüglich GTD-konformes Arbeiten.
Über die genannten Ordner hinaus gibt es auch noch sogenannte „Filtered Views“, die man sich definieren kann, um Artikel nach eigenen Kriterien (wie Lesezeit, Herkunft, Tags, Autor usw.) zusammenzustellen. Einige davon bringt das System auch schon mit, andere entstehen durch den Import einer OPML-Datei, dazu weiter unten mehr. Links zu einzelnen Views können als Icon zum schnellen Zugriff in der linken Seitenleiste des Readers platziert werden.
Sync in Notiz-Apps
Die Software ist aber keine Einbahnstraße für eure Lesetätigkeiten. Sie kann eure Notizen, Highlights und Schlagwörter in euer Notiz- bzw. PKB-System synchronisieren! Unterstützt werden u.a. Obsidian, Evernote, Notion, Logseq und Roam. Dieses wirklich coole Feature war auf jeden Fall mit ausschlaggebend für meine Kaufentscheidung.
Wege ins System
Bis hierhin haben wir unsere Artikel ja sozusagen manuell hinzugefügt. Aber da geht noch viel mehr! Ihr könnt über den Readwise Reader auch RSS-Feeds abonnieren. Die Artikel aus den Feeds landen aber – wie ich finde sinnvollerweise – nicht in eurer Inbox, sondern auf einer speziellen Feedseite. Dort könnt ihr dann Artikel für Artikel entscheiden, ob dieser einer der drei oben erwähnten Ablagen zugeführt werden soll. Damit ihr das alles nicht neu einrichten müsst, könnt ihr eure bestehenden Feeds als sogenannte OPML-Datei exportieren und in den Reader importieren. Ein separater Newsreader ist dann im Prinzip überflüssig.

Weiterhin bekommt ihr zwei individuelle E-Mail-Adressen von Readwise, eine für eure Inbox und eine für den Feed. So kommen dann z.B. auch Newsletter oder lange Mails, die ihr lieber mit Readwise lesen möchtet, ins System.
Ihr könnt sogar Dateien hochladen. Das wären typischerweise PDFs und DRM-freie E-Books im EPUB-Format. Auch öffentliche Twitter-Listen können ”abonniert“ werden, sie werden dem Nutzer zweimal pro Tag in Form einer Zusammenstellung als Feed-Artikel präsentiert. Somit kann ich auch ohne Twitter-Client die Tweets einiger „Promis“ wie z.B. Tim Cook lesen, wenn auch nicht in Echtzeit, obwohl ich Twitter nicht mehr aktiv nutze. Für Youtube-Videos versucht das System ein Transkript bereitzustellen, sodass ihr auch dort „highlighten“ könnt.
Und schließlich möchte ich noch erwähnen, das markierte Texte (also Highlights) aus Kindle- oder Apple-Books ins System synchronisiert werden können. Es gibt sogar noch weitere Integrationen wie Feedly, Raindrop.io, Instapaper, Pocket und weitere, die ich aber bisher nicht nutze. Mit Hilfe einer Programmierschnittstelle (API) könnte man sich sogar noch weitere Möglichkeiten basteln, an Lesestoff zu kommen.
Diese Vielfalt ist es, die Readwise zu meiner universellen „Leselösung“ gemacht hat.

Resümee
Readwise hat bei mir den RSS-Reader und Read-It-Later-Dienste ersetzt und ist zu einer umfassenden Lese-Lösung geworden. Sie ist noch nicht perfekt, aber für mich so nahe an perfekt wie derzeit nichts anderes. Insbesondere die Möglichkeit, einfach beim Lesen von Webseiten etwas zu markieren, ist faszinierend und praktisch. Ob die App auch etwas für euch ist, könntet ihr mit der Testversion des Anbieters einen Monat lang kostenlos und unverbindlich ausprobieren.